Die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg ist wohl die bekannteste junge Frau, die offen mit ihrem Asberger-Syndrom, einer Form des Autismus‘ umgeht. Unter den richtigen Umständen könne anderssein eine Superkraft sein, sagt die 17-Jährige. Dass anders sein für viele Autisten und ihre Familien aber auch ziemlich anstrengend sein kann, weiß das Team des Autismuszentrums „Kleine Wege“ in Nordhausen.
In der großen Backsteinvilla am Geiersberg finden Kinder und Eltern, aber auch Erwachsene mit Autismusspektrum seit mittlerweile 20 Jahren Hilfe. „Ziel unserer Arbeit ist, dass Menschen mit Autismus ein möglichst selbstbestimmtes und eigenständiges Leben führen können“, erklärt Yvette Schatz. Sie ist eine der beiden Geschäftsführerinnen.
Mehr als 500 Familien haben Yvette Schatz und Silke Schellbach mit ihrem interdisziplinären Team in all den Jahren helfen können. Mit vielen von ihnen gab es ein Wiedersehen zur Geburtstagsfeier anlässlich des Jubiläums.
Im Schnitt sind die Kinder und deren Eltern ein bis zwei Jahre in Betreuung, manch eine Familie aber auch deutlich länger. Familie Schneemann aus Erfurt findet mit der vier Jahre alten Ada seit eineinhalb Jahren Hilfe bei „Kleine Wege“. „Wir sind total glücklich, die Kinder erfahren hier so viel Wertschätzung“, sagt Christiane Schneemann. Aktuell schreit ihre Tochter sehr viel und ist laut. „Wenn wir nicht weiter wissen, rufen wir an. Frau Schatz kommt zu uns, fährt aber auch in unseren Kindergarten, hospitiert. Sie gibt uns Spielanregungen, erklärt uns, wie wir am besten auf unser Kind reagieren“, beschreibt Frau Schneemann die Unterstützung.
Es sind also kleine Wege, die die meisten Familien gehen, um eine deutliche Besserung im Familienalltag zu erreichen. „Unseren Namen haben wir ganz bewusst gewählt, um zu verdeutlichen: In unserer Förderarbeit konzentrieren wir uns nicht nur auf das Jetzt und einen folgenden kleinen Entwicklungsschritt, sondern vor allem darauf, wohin die Schritte führen sollen. Es geht um den Lebensweg“, beschreibt Silke Schellbach das Konzept.
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die verschieden ausgeprägt auftreten kann. Zahlen, wie häufig Autismus in Deutschland vorkommt, liegen nicht vor. Derzeit wird angenommen, dass von 1000 Menschen sechs bis sieben eine Autismus-Spektrum-Störung haben. Und: Trotz umfangreicher Forschungsergebnisse hat sich bislang noch kein umfassendes Erklärungsmodell herausgebildet, das vollständig und schlüssig die Entstehungsursachen autistischer Störungen belegen kann.
Autismus zeigt sich verschieden: Was tut man als Eltern, wann das Kind es nicht ertragen kann, Kleidung über den Kopf zu ziehen? Das Baby das Wickeln oder körperliche Nähe nicht zulässt? Was tun, wenn sich das Kind ausschließlich für Schuhe oder Bälle interessiert? Gemeinsam mit den Eltern sucht das Team nach Lösungen und Hilfen; fördert dabei so individuell, wie es die Kinder und jungen Erwachsenen sind. „Zu uns kommen die Kinder, die es besonders schwer haben“, weiß Yvette Schatz.
In der ersten Etage der großen Gründerzeitvilla befindet sich das Therapiezentrum. Hier gibt es ein Bad, eine Küche, einen Flur – an konkreten Beispielen lernen Kinder und Eltern, wie sie Probleme im Alltag lösen können. Immer geht es darum, Reize zu minimieren, Ordnung und Kontinuität zu schaffen und die Kinder auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Ein Raum, der den Jugendlichen vorbehalten ist, ist das Albert-Einstein-Zimmer. Einstein das Genie, das aber lebenslang keine Schuhe binden konnte und deshalb immer und überall in Hausschuhen unterwegs war. Wer könnte also besser als Vorbild für die Kinder dienen als der geniale Physiker? Manche Menschen mit Autismusspektrum haben eine außergewöhnliche Begabung, brillieren mit einem phänomenalen Gedächtnis und genialen künstlerischen Fähigkeiten, während der Alltag sie überfordert. 20 Jahre Autismuszentrum? Das sind 7.300 Tage und 175.200 Stunden weiß einer der Jugendlichen.
„Zu uns kommen die Kinder, die es besonders schwer haben.“
Yvette Schatz
Neben Alltagshilfen geht es auch darum, die Kinder für die Schule vorzubereiten. „Die Eltern sind bei uns in der Frühförderung immer mit dabei, das unterscheidet uns auch von anderen Zentren“, erläutert Yvette Schatz. Es geht vor allem auch darum, die elterlichen Ressourcen zu stärken.
Was 1998 in einer kleinen Wohnung in der Nordhäuser Geschwister-Scholl-Straße begann, ist heute ein Zentrum mit vier Außenstellen in Thüringen und einer in Sachsen-Anhalt. Ein interdisziplinäres Team aus Pädagogen, Therapeuten und Psychologen arbeitet in Erfurt, Weimar, Heiligenstadt, Suhl und in Blankenburg. 50 Mitarbeiter gehören inzwischen zum Autismuszentrum „Kleine Wege“, das in Nordhausen seinen Stammsitz hat, ebenso wie die gleichnamige Akademie und ein Verlag.
Der Beitrag ist im Rahmen meiner Arbeit entstanden. Für den Text hat mich das Zentrum „Kleine Wege“ beauftragt und bezahlt.
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