Interview: Was macht ein alternativer Bestatter Herr Hirschfeld?

Sie sind noch ziemlich jung und haben ursprünglich eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Warum jetzt Bestatter?

Vincent Hirschfeld: Ich habe während meiner Ausbildung schnell gemerkt, dass mir die Arbeit mit Angehörigen nach Sterbefällen sehr liegt. Nur leider hat man als Rettungssanitäter nur wenig Zeit dafür. Das fand ich immer sehr schade. Hinzu kamen die langen Dienste und vielen Schichten im Rettungsdienst. Ich wollte mich umorientieren und habe mich bei einem Bestatter im Kyffhäuserkreis als Aushilfe beworben. Das war mein Glück. Er hat mich sehr intensiv eingearbeitet. Aktuell arbeite ich in einem Krematorium. Der Wunsch Bestatter zu werden war groß und eigentlich wollte ich bei einem Bestattungsunternehmen anfangen. Doch die allermeisten sind Familienunternehmen. Da rein zukommen, ist kaum möglich. Also habe ich es selbst in die Hand genommen und meine Selbstständigkeit nebenbei vorbereitet. Seit März bin ich mit Amalia-Bestattung selbstständig.

Wie haben Sie sich denn auf den Job vorbereitet, neben Ihrem Job im Krematorium?

Hirschfeld: Ich habe im Fernsehen eine Dokumentation über einen alternativen Bestatter gesehen und dann wusste ich, das ist es. Ich habe viel recherchiert. Es gibt einige alternative Bestatter, aber eher Richtung Berlin, hier in unserer Region gibt es das gar nicht. Ich habe viel Selbststudium betrieben, jede Dokumentation und jeden Podcast  über Bestattungen mitgenommnen, viel gelesen. Und mit Bestattern gesprochen, die ich aus dem Krematorium kenne, wenn ich Fragen hatte.

Ihre erste Bestattung, die Sie ausgerichtet haben, war die Ihrer Oma. Wollen Sie darüber erzählen?

Hirschfeld: Meine Oma ist im Dezember 2020 nach langem Krebsleiden im Krankenhaus verstorben. Ich habe mit dem Bestatter besprochen, dass ich möglichst viel selber machen möchte und durfte das Gott sei Dank dann auch. Gemeinsam mit dem Bestatter habe ich meine verstorbene Oma von der Palliativstation in Nordhausen abgeholt, wir haben sie gemeinsam ins Krematorium überführt. Zwei, drei Tage später habe ich die hygienische Versorgung übernommen. Mit Freunden habe ich meine Oma eingekleidet und mit eigener Decke und Kissen eingesargt. Und dann haben wir zusammen eine Trauerfeier geplant. Einen großen Teil der Beerdigung habe ich allein gemacht und festgestellt, das liegt mir ganz gut. Bei der Beisetzung habe ich die Urne selbst abgelassen. Das war schon ein merkwürdiges Gefühl und ich bin nicht sonderlich scharf darauf,  wieder Verwandte zu bestatten. Aber es war ein gutes Ritual zum Abschiednehmen. Meine Oma war immer für mich da, jetzt wollte ich für sie bis zum Schluss da sein.

„Mir ist wichtig, dass sich die Angehörigen mit ihrer Trauer beschäftigen.“

Vincent Hirschfeld,
alternativer Bestatter

Welches Verhältnis haben Sie denn zum Tod?

Hirschfeld: Ich hatte schon als Kind keine Angst auf einen Friedhof zu gehen. Ich fand die Blumen und Grabsteine schon immer schön. Ich hatte keine Vorbelastung. Während eines Englandurlaubs habe ich dort Friedhöfe besucht und einen neuen Umgang mit Friedhöfen kennengelernt. Die haben mit unseren Deutschen nichts gemein. Eventuell war das einer der Gründe, wegen denen ich eine andere Trauerkultur in Deutschland etablieren möchte. Und meine Oma war Floristin. Sie hat auch immer mal Trauergestecke gemacht. Die Liebe zu Blumen habe ich wohl von ihr. 

Was wollen Sie anders machen als andere Bestatter? Oder anders gefragt: Was macht ein alternativer Bestatter?

Hirschfeld: Ich will vor allem eine individuelle Bestattung ermöglichen. Ein Abschied, der zu dem Verstorbenen passt. Und der es den Angehörigen erlaubt, wirklich Abschied zu nehmen und den Tod begreifbar macht. Mein alternatives Konzept bietet die Möglichkeit, dass die Angehörigen viele Dinge selbst übernehmen können. 

Wie sieht das denn konkret aus, wenn Sie eine Bestattung übernehmen?

Hirschfeld: Die Angehörigen rufen mich an, dann mache ich sie gleich darauf aufmerksam, dass der Verstorbene bis zu 36 Stunden zuhause bleiben darf, sofern gewünscht. Das ist heute untypisch, aber mit dem Bestattungsgesetz absolut vereinbar. Dann würden wir die Überführung besprechen. Ein, zwei Tage später folgt das erste Trauergespräch. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die Angehörigen miteinzubeziehen. Beispielsweise können sie bei der Überführung vom Krankenhaus in den Klimaraum mitkommen. Bei der hygienischen Versorgung können Angehörige mit dabei sein, die Verstorbenen waschen, ankleiden und uns unterstützen. Was auch noch wichtig zu erwähnen wäre, ist die transparente Preisgestaltung. Jeder Angehörige wird bei der kostenlosen Erstberatung eine vollständige Preisliste vorgelegt bekommen. 

Was ist denn Ihr Antrieb alternative Bestattungen anzubieten?

Hirschfeld: Der erste Erweckungsmoment war die Beerdigung meiner Uroma 2016. Da saß ich auf der Trauerfeier und die Trauerrednerin erzählte irgendetwas, das hatte nichts mit meiner Uroma zu tun. Weder in der Rede noch in der Dekoration habe ich sie wiedererkannt. Und ich dachte mir, das kann man doch viel schöner machen. Auch die Dekoration ist bei vielen Bestattungen beinahe identisch.  Diese schweren Samttücher, diese Kerzenständer. Ich mache mir dann schon Gedanken. Was waren die Lieblingsblumen, die Lieblingsfarben des Verstorbenen und versuche das in die Dekoration einfließen zu lassen. Wir versuchen immer eine Aufbahrung zu ermöglichen, auch Unfallverstorbene kann man aufbahren. Es gibt da mittlerweile sehr gute Möglichkeiten. Gerade wenn es ein unerwarteter Sterbefall war. Man findet den Vater oder die Mitter beispielsweise verstorben zu Hause. Um dieses Bild aus dem Kopf zu bekommen, ist eine Aufbahrung immer eine gute Sache. Und sie hilft beim Abschiednehmen. Das empfehle ich jedem.

Sie arbeiten ja auch mit einem Tischler zusammen. Was macht der für Sie?

Hirschfeld: Wir hatten die Idee, möglichst regionale, individuelle und vor allem bezahlbare Urnen aus Naturmaterialien zu schaffen. Ich habe mich mit einem Tischler zusammen getan, der sehr gut drechseln kann. Wir haben jetzt die ersten Versuche mit Kirschholz unternommen, haben einen Baumstamm ausgedrechselt, der dann als Urne dient. Wir können so auch ein bestimmtes Holz zu einer Urne umarbeiten, beispielsweise aus einem Baum im Garten des Verstorbenen. Sollten die Angehörigen Sonderwünsche bei Särgen oder Urnen haben, ich versuche alles möglich zu machen.  

Mit Blumenschmuck gehen Sie ja auch eher alternativ um. Die Urne, die Sie heute als Beispiel mitgebracht haben, haben Sie mit Blumen aus dem heimischen Garten dekoriert. Und das sieht wirklich gut aus…

Hirschfeld: Ich habe zwei sehr gute Floristinnen, die kann ich guten Gewissens empfehlen. Nicht jeder hat dafür in Händchen. Aber tatsächlich wollen nicht alle Angehörige Blumenschmuck, sei es aus Kostengründen oder aus dem Grund, dass der Verstorbene keine Blumen mochte. In solchen Fällen kann ich mir auch gut vorstellen, in der Natur mit Angehörigen zusammen Blumen zu sammeln. Mir ist wichtig, dass sich die Angehörigen mit ihrer Trauer beschäftigen und mit einbezogen werden, sofern sie das wollen.

Haben Sie denn schon eine erste Bestattung mit Ihrem Unternehmen durchgeführt?

Hirschfeld: Nein. Ich bin erst seit März selbstständig und muss mich und meine Dienste erst einmal noch bekannter machen. Außerdem ist das Frühjahr keine Zeit, in der viele Menschen sterben. Es war zu erwarten. Und ich bin noch auf der Suche nach einem Ladengeschäft. Das ist in Nordhausen schwieriger als ich gedacht habe.  

Aber Sie könnten sofort eine Beerdigung ausrichten?

Hirschfeld: Ja, das  Fahrzeug ist vorhanden. Ich würde momentan die Trauergespräche in der Häuslichkeit der Angehörigen durchführen. Das wünschen übrigens viele, denn wer geht schon gern in ein Bestattungsinstitut. Für die Abholung habe ich zwei Aushilfen. Den Rest schaffe ich allein.

Wie reagieren denn Ihre Bestatterkollegen auf Ihre alternativen Ansätze?

Hirschfeld: Durch meine Arbeit im Krematorium kann ich sagen, die meisten Mitbewerber sind freundlich. Was dann hinter meinem Rücken gesprochen wird, weiß ich nicht (lacht).


Der Text enthält unbezahlte Werbung.

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5 Comments

  1. Verena said:

    Vielen herzlichen Dank für den Einblick in den Weg zum alternativen Bestatter! Es ist allemal eine interessante Besonderheit, sich als Rettungssanitäter umzuorientieren, um als Bestatter anzufangen. Mein Interesse für alternative Bestattungen ist ebenfalls auf eine Dokumentation, die ich zufällig gesehen habe, zurückzuführen. Seitdem beschäftigt mich mehr denn je die Frage, welche Bestattungsform ich mir selbst eines Tages für meine Person wünschen würde.

    13. August 2022
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  2. Lisa said:

    Mein Sohn überlegt schon länger, ob er die Ausbildung zum Bestatter machen möchte. Interessant, wie vielseitig der Beruf des Bestatters sein kann. Insbesondere die Idee, alternative Bestattungsformen anzubieten, finde ich sehr interessant und eine innovative Abwechslung zum traditionellen Ansatz.

    8. Mai 2023
    Reply
  3. Als ich meinen Großvater verlor, war es ein zuverlässiger Bestatter, der uns durch diese schwere Zeit führte. Er bot uns eine individuell gestaltete Urne aus dem Holz des alten Kirschbaums an, unter dem mein Großvater immer seine Nachmittage verbrachte. Diese persönliche Note half uns, uns auf eine sehr besondere Weise von ihm zu verabschieden.

    17. November 2023
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